Gastbeitrag von Björn Weidner, Landis+Gyr, und Florian Schmidt, Elvaco
Die Herausforderung: Ohne intelligente Messgeräte geht es nicht
Die Enertec Hameln GmbH, eine 100-prozentige Tochter der Interargem GmbH, betreibt eine Abfallverbrennungsanlage mit einer Behandlungskapazität von 350.000 Tonnen im Jahr. Gleichzeitig produziert Enertec Hameln Strom und Fernwärme in einem zweiteiligen Fernwärmenetz: Ein Dampfnetz für die Versorgung der Industrie und ein Wärmenetz für Wohnungskunden in Hameln. Das Unternehmen erzeugt in Kraft-Wärme-Kopplung rund 185 Mio. kWh Strom und 230 Mio. kWh Fernwärme.
Die Umsetzung der EU-Energieeffizienzrichtlinie (EED) auf nationaler Ebene in Form der Fernwärme- oder Fernkälte-Verbrauchserfassungs- und -Abrechnungsverordnung, kurz FFVAV, stellte das Unternehmen vor Herausforderungen. Kai Gnuschke, Betriebsleiter Kraftwerk und Leiter Fernwärme der Enertec Hameln, erklärt:
„Damit Privatkunden monatlich ihre Verbrauchsinformationen erhalten, müssen die Verbräuche elektronisch aus der Ferne erfasst werden. Dies gelingt nur mit intelligenten Messgeräten. Unser Ziel war eine Lösung, die ohne zusätzliche personelle Ressourcen für die Umsetzung der FFVAV auskommt.“
Versorger stehen unter wirtschaftlichem Druck
Die gesetzlichen Vorgaben führen zu einem hohen Zeitaufwand und zusätzlichen Kosten: Die technische Infrastruktur muss aufgebaut und die Daten müssen visualisiert den Kunden bereitgestellt werden. Viele Versorger testen zwar die verfügbaren Lösungen, zögern jedoch und schieben die Entscheidung auf die lange Bank. Dabei stehen sie unter wirtschaftlichem Druck, möglichst schnell eine eigene Lösung umzusetzen.
Denn ein Smart-Meter-Betreiber kann ihnen zuvorkommen und etwa in der Wohnungswirtschaft eine eigene Gateway-Infrastruktur in Betrieb nehmen. Versorger sind dann gezwungen, diese zu nutzen. Das Problem: Der Betreiber kann Gebühren verlangen und vorschreiben, wie die Datenübertragung erfolgt. Die Daten von dem Betreiber zurückzuholen, verursacht hohen administrativen Aufwand. Wer jedoch über eine eigene Infrastruktur verfügt, kann diese weiterverwenden, muss keine Nutzungsgebühr zahlen und gibt die Kontrolle über seine Daten nicht ab. Enertec Hameln wollte autark sein und eine Lösung umsetzen, die ihre Eigenständigkeit garantiert.
„Für uns als innovatives Unternehmen geht es unabhängig von den gesetzlichen Vorgaben auch darum, einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele zu leisten – was bedeutet, ein Netz zu betreiben, dessen Effizienz sich mithilfe von Energiemonitoring und Optimierung steigern lässt“, betont Kai Gnuschke. „Und schließlich möchten wir uns im Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte als attraktiver Arbeitgeber mit modernen Arbeitsplätzen präsentieren.“
Die Lösung: Fernauslesung mit NB-IoT
Kai Gnuschke erklärt, warum Drive- and Walk-by-Lösungen mit dem Funkstandard M-Bus oder ein eigenes LoRaWAN-Netz nicht praktikabel waren: „Die Sendeleistung war im Drive-by über wireless M-Bus zu niedrig und die Auslesung hätte viel Arbeitszeit gebunden. Und um die LoRaWAN-Technologie zu nutzen, hätten wir aufgrund der schwachen Abdeckung viele zusätzliche Empfängerstationen installieren müssen.“
Im Frühjahr 2022 empfahl der Anbieter von Energiemanagementlösungen Landis+Gyr der Enertec Hameln die Funktechnologie Narrowband Internet-of-Things, kurz NB-IoT. NB-IoT hat ähnliche Eigenschaften wie LoRaWAN. Doch es gibt einen Unterschied: NB-IoT nutzt das bestehende Netz der großen deutschen Mobilfunkanbieter und kann daher fast überall betrieben werden. Zudem ist die Technologie leistungsfähiger als LoRaWAN, wenn es etwa um die Übertragung aus tiefliegenden Kellerräumen geht. Insgesamt wären Aufbau, Betrieb und Instandhaltung einer LoRaWAN-Infrastruktur deutlich aufwendiger gewesen.
Für die Auslesung empfahl Landis+Gyr den Ultraschall-Wärmezähler T550/UH50. Der Zähler mit zwei Modulsteckplätzen ist wahlweise netz- oder batteriebetrieben verfügbar – ein klarer Vorteil für das Massengeschäft und den Einsatz in kleinen Kellern, wie sie in Einfamilienhäusern oder Miethäusern zu finden sind. Im Zähler von Landis+Gyr ist ab Werk das NB-IoT-Modul CMi6110 von Elvaco integriert. Die Datenübertragung in die Cloud-Plattform elvaco.evo erfolgt mittels einer SIM-Karte für das bestehende NB-IoT-Netz eines Mobilfunkanbieters. Die Daten werden auf einem Server von Elvaco gespeichert. „Von hier aus können wir sie jederzeit in Anwendungen wie das unternehmenseigene Abrechnungsprogramm importieren“, berichtet Kai Gnuschke.
Starkes Team: Ultraschall-Wärmezähler mit integriertem NB-IoT-Modul
Die Stärke der Kombination des T550/UH50 von Landis+Gyr mit dem NB-IoT-Modul von Elvaco liegt darin, dass die Lösung nicht generell den Austausch von Bestandsgeräten erfordert. Die Zähler lassen sich – ab Firmwarestand 5.15 – rückwirkend für 13 Jahre in bestehende Geräte im Feld integrieren. Dieses Konzept ist nachhaltig und macht die Lösung interessant für Versorger, da sie nicht ihren gesamten Gerätepark austauschen müssen. Sobald NB-IoT-Module auf den Markt kamen, verbaute Enertec Hameln die Lösung im Testbetrieb. Es zeigte sich, dass mit den NB-IoT-Modulen ein hervorragender und wirtschaftlicher Transport der Zählerwerte möglich ist. Daraufhin startete Enertec Hameln einen Feldversuch mit zehn im gesamten Stadtgebiet verteilten Zählern. So wurden weitere Parameter, wie etwa die Ausfallquote, ermittelt.
Kai Gnuschke fasst das Ergebnis zusammen: „Wir hatten keine Ausfälle, die Lösung funktionierte, erwies sich als wirtschaftlich, datenschutzkonform und erfüllt die gesetzlichen Anforderungen der FFVAV. Zudem müssen wir kein Personal einsetzen: Sobald die Infrastruktur aufgebaut ist, läuft alles vollautomatisch. Wir haben die Chance gesehen, uns mit dieser innovativen Technik im Vergleich mit unseren Marktbegleitern ganz weit vorn zu positionieren. Und Innovation macht einfach Spaß. Wir sind am Markt einer der ersten Versorger mit dem Thema Fernauslesung über NB-IoT gewesen.“
Zähler mit NB-IoT-Funktechnik im Einsatz für die Fernwärme
Heute setzt Enertec Hameln für die gesamte Innenstadt auf die Fernauslesung über NB-IoT. 360 smarte Zähler sind bereits am Netz, insgesamt betreibt Enertec Hameln rund 1.400 aktive Geräte im Heißwasserbereich. „Wir können die Zähler mit NB-IoT-Funktechnik im Netz der Deutschen Telekom in nahezu 100 Prozent unseres Versorgungsgebietes einsetzen.
Wir bauen sie jedoch nicht außerplanmäßig um. Erst bei einem Zählerwechsel installieren wir die neuen smarten Geräte. Innerhalb der nächsten zwei Jahre werden wir den gesamten Bestand ausgetauscht haben“, sagt Kai Gnuschke. Enertec Hameln strebt die vollständige Digitalisierung und Automatisierung des Prozesses an: „Noch erhalten unsere Kunden ihre Abrechnungen in Papierform. Im nächsten Schritt stellen wir die Messdaten auf einem Kundenportal bereit. Unser Mutterkonzern, die Stadtwerke Bielefeld Gruppe, wertet die Daten aus und erstellt die Rechnungsbelege. So kann der Kunde die Rechnungs- und Verbrauchswerte sowie historische und prognostizierte Daten jederzeit auf seinem Verbrauchsportal einsehen. Er hat damit die Möglichkeit, eigenständig sein Nutzungsverhalten zu analysieren.“
Fünf Prozent zusätzliche Netzressourcen
Die Vorteile für den Versorger: Das NB-IoT Netz erspart die manuelle Auslesung vor Ort, die monatlich personell gar nicht zu stemmen wäre. Neben der vollautomatischen Auslesung liefern die intelligenten Wärmezähler täglich tagesaktuelle Werte zur kWh-Leistung, zu Temperaturen oder dem Durchfluss. So lässt sich die Datengrundlage besser darstellen und unlogische Messwerte, die auf Fehler in der Infrastruktur hinweisen können, fallen früher auf.
Über die eigene Netzhydraulik hat Enertec Hameln mithilfe der Ganglinien heute einen transparenten Überblick. Denn dank der regelmäßig übertragenen Messwerte zeigen sich die genauen Zeitpunkte von Spitzenwerten im Versorgungsnetz. Kai Gnuschke erklärt: „Wenn etwa die Spitzenwerte von zwei größeren Verbrauchern sich nie überlagern, sondern durchgängig zeitversetzt auftreten, dann kann ich die Hydraulik meines Netzes ganz anders auslegen.
Mindestens 5 Prozent zusätzliche Netzressourcen
Schulen und die Wohnungswirtschaft zum Beispiel haben ganz unterschiedliche Spitzenzeiten. Und ich kann feststellen, ob ich noch weitere Kunden an das Netz anschließen kann. Wir erwarten, dass wir dank dieser Daten mindestens fünf Prozent zusätzliche Netzressourcen generieren. Das heißt, wir können mehr Kunden an das bestehende Leitungsnetz anschließen, ohne einen teuren Ausbau des Netzes. Ich sehe hier einen großen Hebel für die Netzeffizienz.“. Dies ist nicht nur unter wirtschaftlichen Aspekten wichtig: Ein effizienter Einsatz von Ressourcen wird auch im Hinblick auf die zu erreichenden Klimaziele erwartet.
Ein wichtiges Kriterium ist für das Versorgungsunternehmen zudem der Datenschutz. Die Lösung aus NB-IoT-Funknetz und Landis+Gyr Wärmezähler erfüllt alle Anforderungen der EU-Datenschutz-Grundverordnung. Enertec Hameln überträgt lediglich eine Zählernummer und technische Parameter, die keinerlei Rückschlüsse auf die Person zulassen.
Die Investition rechnet sich nach zweieinhalb Jahren
Die eigene geschlossene Smart-Meter-Infrastruktur garantiert für Enertec Hameln die Unabhängigkeit von externen Gateway-Betreibern. Das Unternehmen hat die Kontrolle über die ausgelesenen Daten und sämtliche Kosten. Das Beispiel der Infrastruktur für die Fernauslesung per Funk zeigt, dass Versorger bei der Entscheidungsfindung den gesamten Prozess in den Blick nehmen müssen. „Dann sieht man, dass sich die Investitionskosten für das NB-IoT-Netz und die Module schnell amortisieren. Diese Lösung ist sogar wirtschaftlicher als eine jährliche händische Auslesung“, sagt Kai Gnuschke.
So geht er bei einer Zählerauslesung von einem Zeitaufwand von etwa sechs Minuten aus. Das sind gut 70 Minuten pro Zähler und Jahr, also mehr als eine Arbeitsstunde. „Wenn wir das Funkmodul über fünf Jahre abschreiben und die Kosten für den Datentransfer über das NB-IoT-Netz dazunehmen, rechnet sich die Lösung spätestens nach zweieinhalb Jahren.“
"Wer aufhört besser zu werden, hat aufgehört gut zu sein"
Enertec Hameln steht als Arbeitgeber in Konkurrenz mit den Stadtwerken. Bislang ist das Unternehmen der einzige Gateway-Betreiber in der Stadt. Den Gas-, Wasser- und Stromversorgern ist der Fernwärmeversorger damit einen großen Schritt voraus. Arbeitnehmer legen immer mehr Wert auf innovative Unternehmen, die ihren Beitrag zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz leisten und moderne Arbeitsplätze bieten. Mit seinem innovativen NB-IoT-Netz für die Fernauslesung ist Enertec Hameln heute ein Vorreiter im Hinblick auf die Digitalisierung unter den Versorgungsunternehmen.
Kai Gnuschke fasst die Vorteile der NB-IoT-Lösung zusammen: „Unser Motto ist: Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört gut zu sein. Dazu passt, dass die Lösung, die wir gemeinsam mit Landis+Gyr und Elvaco umgesetzt haben, weit darüber hinaus geht, nur kurzfristig die FFVAV zu erfüllen. Sie bringt Enertec Hameln mehr Anschlusskapazität, trägt zum Klimaschutz bei, unterstützt das innovative Image unseres Unternehmens, modernisiert unsere Arbeitsplätze und stärkt uns so im Wettbewerb um gute Fachkräfte. Wir fühlen uns mit dieser Lösung optimal aufgestellt für die Zukunft als Fernwärmeversorger.“
Über die Autoren:
Björn Weidner betreut als Teamleiter Vertrieb Deutschland als technischer Ansprechpartner die Enertec Hameln GmbH beim führenden Anbieter von Energiemanagementlösungen Landis+Gyr. (Foto: Björn Weidner)
Florian Schmidt betreut als Head of Global OEM Sales für die Elvaco GmbH die Kunden in Deutschland (Foto: Elvaco)
Kai Gnuschke ist Betriebsleiter Kraftwerk und Leiter Fernwärme der Enertec Hameln GmbH. (Foto: Kai Gnuschke)