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Künstliche Intelligenz (KI) im Umwelt- und Klimaschutz – Eine große Chance, wenn wir sie richtig einsetzen

Gastbeitrag von Indra Jungblut, RESET.org

Greenbook Vorstellung – Kann Künstliche Intelligenz (KI) unseren Planeten retten?

Künstliche Intelligenz (KI) hat schon längst ihren Platz in unserem Alltag, in Unternehmen und in der Industrie gefunden, sei es als Suchmaschine, persönlicher Sprachassistent oder auf bestimmte Tätigkeiten hin programmierte Roboter und autonome Maschinen. Auch im Umwelt- und Klimaschutz ist das Spektrum möglicher Einsatzgebiete groß, wie die Autor*innen der gerade veröffentlichten Publikation von RESET.org „Greenbook(1): Künstliche Intelligenz – Können wir mit Rechenleistung unseren Planeten retten?“ zeigen.

Lernfähige Algorithmen für ein intelligentes Energienetz

Einem „Hotspot“ des Klimawandels hat sich PowerTAC zugewendet: Der Energiewende. Denn wenn wir die Pariser Klimaziele erreichen wollen, müssen wir konsequent auf erneuerbare Energien umsteigen. Doch Anbietende und Nachfragende stellt dies vor große Herausforderungen, weil Angebot und Nachfrage nach erneuerbaren Energien stark schwanken – Wind- und Sonnenkraft sind nicht planbar.

Die an die Universität Köln angeschlossene Open-Source-Plattform PowerTAC hat mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) eine ausgefeilte Simulation entwickelt, mit der verschiedenste Szenarien durchgespielt werden können, wie Anbietende und Nachfragende in einem schwankenden Energiemarkt miteinander interagieren. Mittlerweile ist PowerTAC das größte Open-Source-Smart-Grid-Projekt der Welt. Die Software wurde über 10.000 Mal heruntergeladen und unterstützt politische Entscheidungsträger*innen und Akteure der Industrie dabei, mit einem tieferen Verständnis der Mechanismen grüne Energiesysteme auf der ganzen Welt zu implementieren.

Neben der Energiewende ist auch eine „Gebäudewende“ nötig, also ein energieeffizienter und klimafreundlicher Gebäudebestand, um die Klimaziele zu erreichen. Verschiedene Startups haben sich diesem Thema mit KI-Technologien angenommen. Im Mittelpunkt des Ansatzes des Unternehmens Bractlet aus Austin, Texas, zum Beispiel steht das Verständnis, dass jedes Gebäude ein einzigartiges „Ökosystem“ ist, das seine ganz eigenen Besonderheiten und Unregelmäßigkeiten aufweist. Daher führt Braclet Daten aus verschiedenen Quellen zusammen – Versorgungsrechnungen, Architekturdokumente, Wetter- und Echtzeitdaten zum Stromverbrauch – und erstellt daraus mithilfe von Maschine-Learning-Algorithmen einen „Digital Twin“, also ein physikalisch basiertes Simulationsmodell, das in Bezug auf den Energieverbrauch mit dem realen Gebäude nahezu identisch ist.

Mit dem digitalen Experimentierfeld sollen dann die effizientesten Energiesparmaßnahmen aufgedeckt und das Risiko minimiert werden, dass bestimmte Maßnahmen falsch oder nicht an der optimalen Stelle in die Infrastruktur eines Gebäudes integriert werden. Theoretisch können solche „digitalen Zwillinge“ auch auf nahezu alle Arten von physischen Objekten, geografischen Regionen oder Infrastrukturen übertragen werden.

Neben der Möglichkeit, Energiekonzepte für Gebäude oder sogar einen Energiemarkt zu erstellen, können KI-basierte Anwendungen auch Heizung und Kühlung in modernen Gebäuden effizient steuern. Indem sie die Art der Energiegewinnung, Nutzerverhalten und Energiepreis- und Wetterdaten verknüpfen. Dazu gibt es schon eine Vielzahl an Anwendungen, wie zum Beispiel die des finnische Unternehmens Leanheat.

Doch geht es darum, emissionsarm Strom zu beziehen, zählt nicht nur der eigentliche Verbrauch. Je nach Stromerzeugung sowie der Nachfrage ändern sich die CO2-Emissionen des gewonnenen Stroms. Eine Art „Wetterbericht“ für sauberen Strom hat der britische Übertragungsnetzbetreiber National Grid zusammen mit der Oxford Universität, dem Environmental Defense Fund Europe und dem WWF entwickelt. Der Carbon Intensity Forecast erstellt mit Regressionsmodellen basierend auf maschinellem Lernen eine Vorhersage der CO2-Intensität des Stroms.

Verbraucher*innen, aber auch Unternehmen können so erkennen, zu welcher Zeit der Strom am nachhaltigsten produziert werden wird und ihren Energieverbrauch danach ausrichten. „Es gibt inzwischen viele Unternehmen, die die Carbon Intensity API nutzen“, berichtet Dr. Alasdair Bruce, leitender Wissenschaftler hinter dem Projekt. „Einige Automobilhersteller planen, die Vorhersage in Elektrofahrzeuge einzubetten, damit Besitzer ihre Autos in den ‚grünsten‘ Zeiten aufladen können.“

Wie die Beispiele zeigen, haben KI-Anwendungen ein besonders großes Potenzial in Bereichen, in denen viele Daten zusammenfließen und ausgewertet werden müssen. Kein Wunder also, dass auch in der Industrie 4.0 auf die neue Technologie gesetzt wird.

Optimierte Prozesse ermöglichen eine effiziente Ressourcennutzung

In der heutigen Industrie arbeiten Produktionsmaschinen und Industrieroboter mit Planungs- und Steuerungssoftware zusammen. Dabei fallen beachtliche Datenmengen über sämtliche Prozesse an. Doch herkömmliche Analyseverfahren kommen damit schnell an ihre Grenzen – nicht so KI-Technologien. Die intelligenten Algorithmen sind in der Lage,  riesige Mengen verschiedenster Daten zu verknüpfen und können dafür eingesetzt werden, Maschinen- und Gebäude effizient zu steuern und so Energieverbrauch, Ressourcenaufwand und Ausschussraten im Produktionsprozess verringern.

In dem im Februar 2020 gestarteten Projekt REIF, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert wird, soll mithilfe von Künstlicher Intelligenz die Lebensmittelverschwendung in der Industrie reduziert werden, denn jedes Jahr landen hier Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Dazu soll ein KI-System aufgebaut werden, das den Austausch und die Transparenz zwischen den verschiedenen Akteuren in der Lebensmittelindustrie erhöht und Prognoseverfahren entstehen, mit dem Angebot und Nachfrage besser abgestimmt werden kann. Das ambitionierte Ziel des REIF-Projektes ist es, mit Unterstützung intelligenter Algorithmen in den Bereichen Molkerei, Fleisch und Backwaren die Lebensmittelverluste um bis zu 90 Prozent zu reduzieren.

Ein spannender Ansatz ist auch der des texanischen Unternehmens Smarter Sorting: Damit unverkäufliche oder retournierte Artikel nicht mehr schlicht als „Abfall“ behandelt werden – absurderweise ist für viele Unternehmen der kostengünstigste Weg, zurückgegebene Ware „loszuwerden“ die Entsorgung – werden den Händlern über eine KI-basierte Plattform möglichst nachhaltige Wiederverwendungs-, Spenden- oder Recycling-Wege vorgeschlagen. Nach Unternehmensangaben konnte eine Test-Implementierung innerhalb von etwa drei Monaten über 70 Prozent des Abfalls eines Einzelhändlers verringern.

Viele dieser Ansätze sind noch in der Erprobungsphase und bestimmt ausbaufähig, aber theoretisch ließen sich so viele (Roh-)Stoffe auch industrieübergreifend effizienter verwalten und bestenfalls immer wieder verwenden – ein wichtiger Baustein für eine echte Kreislaufwirtschaft.

KI-Startups im Umwelt- und Klimaschutz noch eine Ausnahme

Neben den genannten Beispielen findet sich auch in anderen Bereichen KI-Anwendungen, die auf den Umwelt- und Klimaschutz einzahlen. KI und Robotik präzisieren zum Beispiel landwirtschaftliche (Anbau-)Methoden und sorgen so unter anderem dafür, dass  der Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden auf ein Minimum schrumpft. Und auch bei der Mobilität und dem nachhaltigen Konsum stehen die Chancen gut, dass intelligente Computerprogramme eine große Hebelwirkung haben können, beispielsweise, indem durch eine intelligente Verkehrssteuerung die verkehrsbedingten CO2-Emissionen gesenkt werden oder im Bereich des nachhaltigen Konsums geeignete Tools für ein ressourcensparendes Verhalten zur Verfügung stehen. Erwähnung findet diese Einsatzmöglichkeit von KI unter anderem auch in der Digitalagenda des BMU. An konkreten Umsetzungen fehlt es in diesem Bereich jedoch bisher.

Doch auch wenn sich eine große Bandbreite an KI-Anwendungen finden lässt, die sich im Bereich Nachhaltigkeit tümmeln, weisen die Autor*innen des Greenbook darauf hin, dass Startups, Unternehmen und Forschungsinstitute, die KI-Anwendungen für den Umwelt- und Klimaschutz entwickeln, eine Ausnahme sind: Die Schlagwortsuche nach nachhaltigen Startups auf Crunchbase im Juni 2020 ergab rund 400 KI-Startups mit Nachhaltigkeitsbezug weltweit im Vergleich zu insgesamt knapp 20.000 KI-Startups.

Um die Entwicklung von KI voranzutreiben, die sich dem Umwelt- und Klimaschutz widmen, sind „entsprechende Rahmenbedingungen in der Politik und eine Förderlandschaft, die die Entwicklung nachhaltiger KI vorantreibt, unerlässlich“, wie Lydia Skrabania, Mitautorin der Publikation, betont. Denn bisher gibt es nur eine Handvoll Fördermöglichkeiten für KI-Anwendungen mit klarem Nachhaltigkeitsbezug, wie zum Beispiel das Förderprogramm KI-Leuchttürme des BMU, die UN-Initiative AI for Good und Programme von Microsoft und Google. „Zentral ist jedoch auch der enge Austausch von KI-Experten, klimarelevanten Fachgebieten und der Praxis, der dabei hilft, eine Problemstellung richtig anzugehen“, betont auch Lynn Kaack von der Gruppe „Climate Change AI“ im Interview mit RESET.

Echter Umwelt- und Klimaschutz braucht nachhaltige KI-Anwendungen

Dass KI-basierte Anwendungen einen positiven Beitrag beim Umwelt- und Klimaschutz leisten, ist jedoch kein Selbstläufer. Denn es gilt immer zu beachten, dass auch KI-Anwendungen für die weitere Zunahme unseres schon jetzt enormen Strombedarfs sorgen: KI-Technologien wie maschinelles Lernen verbrauchen große Mengen Energie, insbesondere während ihres Trainings.

Doch es gibt verschiedene Stellschrauben, um den ökologischen Fußabdruck beim maschinellen Lernen und anderen Teilgebieten von KI klein zu halten, wie die Autor*innen des Greenbooks feststellen. Dazu gehört der Einsatz möglichst effizienter Algorithmen und Hardware und die Wahl von Cloud-Anbietern und Rechenzentren, die grüne Energie nutzen. Der Machine Learning Emission Calculator ist ein erstes, hilfreiches Tool, um einen Überblick zu erhalten, wie viel CO2 mit einer KI-Anwendung emittiert wird.

Zudem gilt es, die Verhältnismäßigkeit zu prüfen, dass heißt den Energieaufwand in der Entwicklung ins Verhältnis zu den Einsparungen von Energie und/ oder Ressourcen in der Nutzung zu setzen. Aus Nachhaltigkeitsperspektive ist zudem ein am Gemeinwohl orientierter Einsatz von KI-Systemen wichtig, der auf Transparenz und Datenschutz ausgerichtet ist.

Und natürlich werden KI-Anwendungen umso nachhaltiger, je nachhaltiger die gesamte digitale Infrastruktur aufgestellt ist. Die Autor*innen des Greenbook fordern daher ein mutiges und konsequentes Handeln von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, um die Chancen der Digitalisierung und damit auch von KI-basierten Anwendungen für eine nachhaltige Entwicklung bestmöglich zu nutzen und gleichzeitig die negativen Auswirkungen zu begrenzen.

„Auch wenn Aspekte der Nachhaltigkeit bei der Digitalisierung im Allgemeinen, aber auch in Bezug auf KI-basierte Technologien im Speziellen, in den letzten Monaten auf politischer Ebene, allen voran in der Digitalagenda des BMU und auf EU-Ebene in einem White Paper zunehmend Erwähnung finden, bleibt noch viel zu tun, um den Einsatz von KI ökologisch und sozial aufzustellen,“ so die RESET-Gründerin Uta Mühleis.

RESET Greenbook (1): Künstliche Intelligenz – Können wir mit Rechenleistung unseren Planeten retten?

Diese und weitere Anwendungsbeispiele, Expert*inneninterviews und Handlungsempfehlungen finden sich in der kürzlich erschienen von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten Publikation Greenbook (1): Künstliche Intelligenz – können wir mit Rechenleistung unseren Planeten retten? Mitautorin Sarah-Indra Jungblut hat diesen Text verfasst.

Das Greenbook(1) ist ein Reader für alle, die mehr darüber erfahren wollen, wie KI-Anwendungen schon jetzt im  Umwelt- und Klimaschutz eingesetzt werden, worin besondere Chancen, aber auch Risiken in Bezug auf ökologische und soziale Aspekte bestehen, und wie zukünftige KI-Entwicklungen mit einem echten Mehrwert für Umwelt und Klima gestaltet werden können.

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