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Analyse einer 15-Minuten-Stadt mit frei verfügbaren Daten

Gastbeitrag von Nils Seipel und Chris Weber, Gründer des Online-Tools 15-Minuten-Stadt.de

15-minuten-stadt.de – eine Analyse der Erreichbarkeit auf einen Blick

Aktuell ist der Ansatz der 15-Minuten-Stadt in aller Munde: Eine dezentralisierte Stadtplanung mit einem Fokus auf schnelle Erreichbarkeit aller wichtigen Stationen des Alltags mit umweltverträglichen und platzsparenden Verkehrsmitteln (per Rad, zur Fuß, mit dem ÖPNV oder mittels Mikromobilitäts-Angeboten). Doch wie können wir auf einen Blick erfassen, wie nah eine Stadt schon am Konzept der 15-Minuten-Stadt ist? Bestehende Tools sind umfangreich, aber oft nicht barrierefrei, technisch komplex und nur durch Experten auszuwerten oder bieten damit nur sehr umfangreiche Detail-Einblicke. Mit unserem Tool 15-minuten-stadt.de haben wir eine Vergleichsmöglichkeit geschaffen, die sehr einfach und niederschwellig ist und sich daher gut als Einstieg für Projekte in der Stadtplanung oder Information innerhalb von Bürgerbeteiligungen eignet.

Eine Visualisierung des Ergebnisses ist in folgendem Screenshot als Karte zu sehen und hier direkt zu nutzen:

Karte Giessen 15MinutenStadt

Für alle 2060 deutschen Städte sowie alle Städte aus dem DACH-Raum und einige ausgewählte internationale Städte liegen fertig bewertete Karten auf der Homepage frei verfügbar vor. Doch wie ist die Menge der Ausgangsdaten überhaupt zustande gekommen und welche Aussagekraft haben diese? In dem vorliegenden Blog-Beitrag möchten wir kurz auf diese beiden Fragen eingehen. Beginnen wir mit einem Einblick in die Ergebnisse.

Wie unser Tool arbeitet:

Wir bewerten die Erreichbarkeit von allen Punkten in einer Stadt im Hinblick auf 6 Kategorien. Hier die Kategorien mit den jeweiligen bewerteten Punkten der Karte (Points of Interest – kurz POIs):

Tool zur Bewertung der Erreichbarkeit 15MinutenStadt 6 Kategorien
Sechs Erreichbarkeitskriterien – Points of Interest (POIs)

Ergebnisse: Zwei Städte im Vergleich

Gießen war die Referenzstadt für unseren Score und schneidet relativ gut ab. Das Umland weist hier schon einige Fehlstellen auf, wobei hier natürlich auch nicht bewohnte Gebiete bewertet wurden. Im folgenden Bild ist eine Übersicht von Gießen zu sehen:

Giessen Karte
Gießen als Referenzstadt: Karte plus Umland

Im Detail ergeben sich an den Stadträndern hellgrüne Bereiche, die weniger gut abschneiden. So z.B. der folgende Bereich im nächsten Screenshot. Deutlich zu erkennen sind eine höhere Entfernung von Mobilitätsangeboten wie z.B. Carsharing, Bahnhöfen, Bushaltestellen etc. und der Mangel an Naherholungsmöglichkeiten wie z.B. Parks, Spielplätzen etc. Welche Dinge genau fehlen, zeigt die Karte nicht, da diese Informationen wieder zu einer Komplexität führen würden, die nicht der Idee der Karte entspricht. Die Daten hinter den Karten sind jedoch noch deutlich detaillierter. So können wir bspw. Spezialauswertungen erstellen, die Bedarfe und Fehlstellen ersichtlich machen. Dies sind natürlich nur statistische Werte, jedoch können sie als Anhaltspunkte genutzt werden.

Screenshot Vergleich 15MinutenStadt Karte Dingolfing bei Muenchen

Stadt 2: Dingolfing bei München

Anders sieht es bei unserer Vergleichsstadt „Dingolfing“ aus. Auf den ersten Blick ist ersichtlich, dass selbst der Stadtkern nicht die volle Punktzahl erreicht.

Karte Dingolfing
Visualisierung des Tools 15-minuten-stadt.de – Dingolfing bei München

Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass im Stadtkern sowohl Naherholung als auch Mobilität schlecht abschneiden. Dies kann auch andere Ursachen als einen tatsächlichen Mangel haben: Die Daten könnten auch schlecht gepflegt sein. Hierfür wäre ein Abgleich mit der Realität sinnvoll und wir empfehlen auch unser Tool nur als Hinweisgeber zu nutzen.

Dingolfing Bewertung 1

In den Außenbereichen der Stadt wird deutlich, dass auch Orte der Nahversorgung und Gesundheit nicht schnell per Rad/zu Fuß erreichbar sind, da die Bewertung in diesem Bereich deutlich abfällt.

Karte Dingolfing Bewertung 1
Erreichbarkeit Dingolfing – 15-Minuten-Stadt- Tool

Motivation & Nutzen unseres Tools

Warum sollte man Städte jetzt überhaupt in einer solchen Form analysieren? Für eine detaillierte Auswertung ist unser Tool sicher nicht geeignet. Hierzu fehlen noch tiefergehende Analysemöglichkeiten und die Verknüpfung mit kontextualisierte Meta-Daten oder zusätzlichen Daten. Zum Glück gibt es aber bereits andere Ansätze wie z.B. das Forschungsprojekt GOAT (gefördert durch den Bund), eine sehr ausführliche Mobilitätsanalyse-Software.

Unser Tool kann in wenigen Sekunden eine Karte für einen beliebigen Ort erstellen und durch die aggregierte Kartendarstellung aller Kategorien auf einen Blick aufzeigen, wo es sich eventuell lohnt weiter nachzuforschen. Wenn bereits alle Stellen einer Stadt dunkelgrün sind, muss vielleicht nicht noch mehr Infrastruktur zugebaut werden, sondern es sind Umstrukturierungen für eine bessere Erreichbarkeit für Radfahrer:innen oder Fußgänger:innen vorzunehmen. Neue Bauprojekte können evtl. anhand strategischer Lagen besser in die Stadt eingebunden werden und Fehlstellen in der Infrastruktur können aufgedeckt werden – wie im Beispiel oben zu sehen.

Offene Daten & unser Tool als Analysewerkzeug

Die Daten, auf denen 15-minuten-stadt.de basiert, sind frei zugänglich und werden durch viele Menschen gemeinsam gepflegt und ergänzt. Die gemeinsame Plattform hierfür ist die Open Street Map (OSM) [https://openstreetmap.org] – das Gegenstück zu kommerziell gepflegten Karten wie Google Maps, Bing oder Nokia. Dem kommerziellen und damit oft geschlossenen oder kostenpflichtigen Karten zum Trotz, werden regelmäßig neue Karten [z.B. https://wheelmap.org, https://openinframap.org, opentopomap.org, https://opencampingmap.org] aus den dichten Geoinformationen der OSM erstellt oder neue Standards entworfen um diese zu erweitern [z.B. ein Accessibility-Standard von der deutschen NGO Sozialhelden https://www.accessibility.cloud/].

 Die Vorteile der Open Data Plattform OSM sind folgende:

  • offene Datenstruktur und Standards
  • Verwendbarkeit der Daten in eigenen Open Data Projekten (Lizenz)
  • Anpassbarkeit der Daten, da offen und nicht propritär
  • Viele ausgereifte Software- und Datenbankapplikationen, um Daten selber auswerten zu können (z.B. Aufsetzen von eigenen OSM-Servern, bei großem Anfragenaufkommen)

Eine Frage, die uns immer wieder erreicht ist die Folgende: „Wenn die Daten von jeder und jedem verändert werden können, wie gut sind diese Daten dann?“ Diese Frage ist so alt wie das Internet und ist aus der Diskussion um Wikipedia bekannt.

Zur konkreten Situation der OpenStreetMap gibt es diverse Studien, von denen uns eine im besonderen zum Bau des Tools bewogen hat: Die Untersuchung der Qualität von OSM-Daten für wirtschaftliche Anwendungen (Verkehr und Transport) in den USA – dabei ging es um die Fahrdienstanbieter wie Uber und Lyft [https://eng.lyft.com/how-lyft-discovered-openstreetmap-is-the-freshest-map-for-rideshare-a7a41bf92ec]. Diese untersuchten die Datenaktualität und Qualität der Open Street Map-Daten und fanden in meisten Fällen eine nach wenigen Tagen bereits sehr genau aktualisierte Datenlage für hochfrequentierte Bereiche der Verkehrsinfrastruktur. Wir dachten uns: „Wenn diesen Unternehmen die Datenqualität ausreicht, was können wir dann damit anstellen?“.

Trotzdem empfehlen wir immer einen eigenen Blick in die Daten zu werfen. Das geht ganz einfach, auch wenn keine Kenntnisse von Datenverarbeitung vorhanden (aber empfohlen) sind, z.B. mittels ohsome.org für statistische Häufigkeiten und Bearbeitungsfrequenzen, oder einzelne Kategorien mittels https://overpass-turbo.eu.

Dabei kann eine Anfrage aller Objekte z.B. in der Nähe des Gießener Bahnhofs zeigen, dass sogar einzelne Fahrradabstellmöglichkeiten, Zugangsmöglichkeiten für Rollstuhlfahrer:innen, Bushaltestellen, Mülleimer und vieles mehr enthalten sind (Link zur Ausführbaren Abfrage): Insgesamt sieht man, dass die Daten hinter der Open Street Map vielfältiger sind, als man auf den ersten Blick denken könnte.

In der aktuellen Version der Homepage [Januar 2022] werden die Karten auf Basis der Luftlinien-Distanzen zu den Points of Interest berechnet und dann anhand unseres Schemas bewertet. Um einen Datensatz mit exakteren Distanzen auf Basis von Wegstrecken (Routing) zu erhalten, nehmen Sie Kontakt mit uns auf.

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Chris Weber
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Nils Seipel

Über die Autoren:

Chris Weber & Nils Seipel haben 15-minuten-stadt.de als Hobby-Projekt im Corona-Lockdown begonnen. Als Programmierer, Daten-Enthusiasten und Nachhaltigkeitsberater fühlen die beiden sich an der Schnittstelle von realer Welt und Digitalem wohl. Denn ihrer Überzeugung nach, können digitale Tools helfen, unser Leben deutlich zu verbessern. Chris Weber arbeitet als Programmierer bei der KfW-Bankengruppe. Nils Seipel ist mit einer gemeinnützigen Bildungseinrichtung und als Nachhaltigkeitsberater selbstständig.

Kontaktdaten unter https://15-minuten-stadt.de/

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