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Innovationsprozess am Beispiel moderner Heiztechnik mit erneuerbaren Energien

Innovationsprozesse am Beispiel moderner Heiztechnik mit erneuerbaren Energien

“Wer nichts erfindet, verschwindet”

Die Aussage des Juristen und Erfinders Erich Häußer trifft auch auf die Heiztechnik mit erneuerbaren Energien zu: Wer auf diesem Markt überleben will, braucht innovative Produkte; denn hier schreitet die technische Entwicklung besonders schnell voran. Zusätzlich verschärfen die Globalisierung, der Wettbewerbs- und Kostendruck sowie politische und konjunkturelle Einflüsse die Branche in besonderem Maße. Unterm Strich besteht nur derjenige, der innovative Technik wirtschaftlich produziert und anbietet.

Anhand der neuen KWB Multifire Hackgut- und Pelletheizung (MF2) wird im folgenden Beitrag dargestellt, wie der Innovationsprozess in dem steirischen Unternehmen abläuft. Dabei wird der Weg von der Produktidee über die Produktentwicklung bis hin zur Markteinführung beschrieben.

Das KWB Innovationszentrum

Seit 2006 ist das KWB Innovationszentrum an die Firmenzentrale in Sankt Margarethen a. d. Raab angeschlossen. Es ist das größte private Biomasseforschungszentrum Europas. Dorthin fließen etwa zehn Prozent des Umsatzes des Unternehmens. Im KWB Innovationszentrum befassen sich über 30 Mitarbeiter mit der Steuerungs- und Regelungstechnik, der Konstruktion und dem Prototypenbau.

Die neue KWB Multifire Hackgut- und Pelletheizung entwickelte ein 13-köpfiges Team aus Technik, Kundendienst, Einkauf und Produktmanagement. Diese Mannschaft arbeitete insgesamt über 60.000 Stunden am Projekt MF2. Von der Produktfindung bis zur Markteinführung kostete die Innovation etwa sechs Millionen Euro.

Produktfindung

Bevor die Entwicklung eines Produktes beginnt, müssen die Anforderungen gefunden werden, an denen es später im Markt gemessen wird. Hier kommen die sogenannten Anspruchsgruppen ins Spiel. Denn diese, und nicht die Entwickler,  legen die Anforderungen des Produkts fest. Der Köder muss schließlich dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Die Merkmale und Ansprüche an die neue Biomasseheizung formulierten verschiedenen Anspruchsgruppen: Allen voran Endkunden und Heizungsbauer, aber auch Gesetzgeber und interne Anspruchsgruppen, wie Materialwirtschaft, Kundendienst und Unternehmenseigentümer.
Den Endkunden war ein breites Spektrum an Brennstoffen wichtig

Bei der KWB Marktforschung kristallisierte sich heraus, dass viele Endkunden nicht nur qualitativ hochwertige Pellets und Hackgut als Brennstoffe nutzen. Vielmehr kommen auch feuchteres bzw. gröberes Hackgut und Brennstoffe aus Kurzumtriebspflanzen zum Einsatz. Ebenso gewinnen Energiepflanzen und Agrarreststoffe wie Miscanthus, Strohpellets, Maisspindeln, Oliven- und Kirschkerne immer mehr an Bedeutung.
Der Anspruch, viele Brennstoffe nutzen zu können, wirkt sich maßgeblich auf die Produktentwicklung aus: Zuvorderst steigen die Anforderungen an den Brenner. Er muss robuster sein und eine flexiblere Regelung aufweisen. Aber auch die Brennstoffzuführung, die Brennkammer und der Wärmetauscher müssen auf andere (nichtholzartige) Brennstoffe abgestimmt sein.

Neben den Endkunden stellten auch Handwerk und Gesetzgeber neue Anforderungen an die Heizungsanlage. Dabei sprachen sich die Heizungsbauer für eine modulare Einbauweise der neuen Biomasseheizung aus.
Von Seiten des Gesetzgebers stand vor allem die 1. Bundesimmissionsschutzverordnung (1.BimschV) im Vordergrund, die am 1. Januar 2015 in Kraft tritt. Dann dürfen Feuerungen für feste Biomasse nur noch maximal 20 mg/m³ Feinstaub ausstoßen. Die 1. BImschV beeinflusste deshalb auch maßgeblich die Entwicklung der neuen KWB Multifire Pellet- und Hackgutheizung.

Meilenstein: Lastenheft

Sind alle Anspruchsgruppen zu Wort gekommen, verdichtet das Produktmanagement die gestellten Anforderungen an das neue Produkt. Der erste Entwurf des Lastenheftes entsteht. Diese Vorabversion diskutiert das Projektteam ein letztes Mal mit einzelnen Vertretern der Anspruchsgruppen und erstellt ein endgültiges Lastenheft. Die Produktfindung ist somit abgeschlossen und die tatsächliche Entwicklung beginnt.

Produktentwicklung

Aus dem Lastenheft entsteht das Pflichtenheft. Darin konkretisiert das Projektteam die Anforderungen an das Produkt und leitet wichtige Entwicklungsschwerpunkte ab.  Den Kern des Projektplans bildeten schließlich die oben genannten Anforderungen: Geteilte Einbringung, breites Brennstoffband und Emissionsminderung.

Das Herzstück der Heizung ist der Brenner. Deshalb legte das Projektteam sein besonderes Augenmerk darauf, welches Brennsystem im MF2 eingesetzt wird. Zunächst wurden 17 Brenner-Ideen entworfen. Diese wurden diskutiert, bewertet und zu sechs Konzepten verdichtet. Die Konstrukteure produzierten aus diesen Konzepten sechs rudimentäre Brennermodelle, davon blieben drei Designs in der engeren Wahl: Der Stufenrostbrenner, der Raupenbrenner und der Trigon-Walzenbrenner. Nach weiteren Tests stand endlich fest, welches Brenner-Prinzip dem Pflichtenheft am ehesten gerecht wird: Es ist der Raupenbrenner.
Virtuell und damit günstig und schnell

In der Konzeptphase nutzt KWB computergestützte Simulationen. Das Entwicklungsteam sichert damit die Produktqualität, senkt die Entwicklungskosten und das Risiko einer Fehlentwicklung. Dadurch spart man wertvolle Zeit. Reale Prototypen werden schließlich erst gebaut, wenn die virtuelle Variante zufriedenstellende Ergebnisse erzielt.

Bei der neuen Pellet- und Hackschnitzelheizung setzte KWB hauptsächlich zwei Simulationen ein: Zum einen erstellte es eine 3D-Simulation der Produktidee mithilfe des Fast Concept Modeling (FCM). Zum anderen simulierten die Entwickler die Verbrennung und Gasströme innerhalb der Heizung mit computational fluid dynamics (CFD).

Im Rahmen der CFD wurden folgende Größen geprüft:

  • Ausbrandqualität
  • Emissionen
  • Partikelströme und deren Ablagerungen
  • Temperaturverläufe und die Wärmeübergänge sowie
  • Belastungs- und Spannungsverläufe

Prototypenerstellung und -test

Nach der erfolgreichen Simulation der neuen Heizung entstand aus dem FCM die Konstruktionsvorlage für den realen Prototyp. Diesen testeten die Entwickler zunächst an den firmeneigenen Prüfständen. Hierzu lud das Team erneut ausgewählte Installateure ein. „Wir tauschten uns zwei Tage lang intensiv aus, wurden dabei gelobt, nahmen aber auch viel konstruktive Kritik mit“, berichtet Kundendienst-Profi Manfred Gubisch.

Feldtests

Nachdem das Projektteam die Rückmeldungen der Handwerker umgesetzt hatte, begann die Feldtestphase. Sie lief in zwei Stufen und über zwei Heizsaisons ab.

Im ersten Schritt wurden 20, in der zweiten Stufe 34 Heizungen bei KWB Mitarbeitern und ausgewählten Partnertrieben installiert. Die 54 Feldtestanlagen absolvierten insgesamt über 100.000 Volllaststunden.  Idealerweise setzte das Projektteam die Kessel in Extremsituationen ein: „Wir haben sowohl problematische Brennstoffe verheizt, als auch die Kessel in herausfordernden hydraulischen Situationen  installiert“, zählt Chef-Entwickler Christian Stubenschrott auf. Ebenso wurden alle Leistungsgrößen, Raumaustragungsvarianten und Brennstoffzuführungen getestet.

Der Moment der Wahrheit

Dem Feldtest folgt einer der spannendsten Momente für die Entwickler: Die offizielle Typenprüfung. Jetzt erhalten die Entwickler ihr Abschlusszeugnis, unter anderem im Hauptfach „Abgaswerte“. Drei Wochen lang und teils mehr als 20 Stunden pro Tag führte der TÜV Österreich Prüfläufe und die sicherheitstechnischen Abnahmen an den firmeneigenen Prüfständen durch. Letztendlich bestand der MF2 alle Tests mit Bravour.

Nachdem der TÜV seine Koffer wieder gepackt hatte, fiel dem Projektteam ein Stein vom Herzen: Bei Pellets und Hackgut blieben die Feinstaubemissionen über den gesamten Leistungsbereich (20-135 kW) und in allen Laststufen (Voll- und Teillast) unter 15 mg/m³ – in vielen Fällen sogar unter 10 mg/m3. Das heißt mehr als 25 Prozent unter den strengen Grenzwerten der zweiten Stufe der 1. BImschV.

Markteinführung

Der umfangreichen Prüfung folgte schließlich die Markteinführung: Dafür wurden die Kommunikationsstrategie erarbeitet, Verkaufsunterlagen hergestellt, und die Messepräsentationen auf den internationalen Ausstellungen geplant. Abschließend wurden die Schulungspläne für die Mitarbeiter und Partnerbetriebe erstellt und die gesamte Liefer- und Assembling-Kette aufgebaut. Der Innovationsprozess ist abgeschlossen, aber noch fehlt das i-Tüpfelchen der Marketingstrategie.  „Audi leistet sich einen ganzen Trupp Ton-Ingenieure, um den richtigen Sound ihrer Autos zu finden – da dachten wir: Das können wir auch“, erinnert sich Projektleiter Josef Tuppinger. So dauerte es nicht lange, bis ein eigenes Lied für die neue Multifire Pellet- und Hackgutheizung komponiert war. Auf den Messen und auf YouTube tönt es: „Zünd mi heut Nacht“.

Gastbeitrag von: Dr. DI Josef Tuppinger, Leitung Technik, und Frank Schönfelder, Marketingleitung KWB Deutschland

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