Autorin: Hiawatha Wolf, Director, Sustainability Software, IBM DACH
Nachhaltigkeitsziele sind 2023 für Unternehmen keine Option mehr, sondern ein geschäftlicher Imperativ – trotz der anhaltenden Bedenken hinsichtlich der Weltwirtschaft. Die Geschäftsführungen stehen unter wachsendem Druck von Investoren, Kunden und Beschäftigten, mehr Transparenz in Bezug auf Nachhaltigkeit zu liefern. Dies beinhaltet Investitionen in erneuerbare Energien und Maßnahmen zur Reduzierung von CO2-Emissionen.
Dieser Trend wird in diesem Jahr weiter zunehmen. Eine aktuelle Studie, die IBM bei Morning Consult in Auftrag gegeben hat, zeigt, dass die Mehrheit der Unternehmen, nämlich drei von fünf, ihre Ausgaben für ökologische, soziale und Governance-Ziele (kurz: ESG-Ziele) in diesem Jahr erhöhen oder priorisieren möchten. Diese Unternehmen haben erkannt, dass es jetzt darum geht, Nachhaltigkeitsziele umzusetzen und nicht mehr nur darum, ehrgeizige Ziele festzulegen. Doch zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft oft eine Lücke: Nur 23 Prozent der im vergangenen Jahr befragten CEOs setzen die Nachhaltigkeitsstrategien in ihrem Unternehmen bereits vollständig um. Sie sagen auch, dass vor allem ein Mangel an zuverlässigen Daten ihre Handlungsfähigkeit derzeit behindert.
Das muss nicht sein. Um die Herausforderungen bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen zu meistern, sollten Unternehmen jetzt zeitnah in neue Prozesse und Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) investieren, um die Lücke zu schließen. Klug eingesetzt, zahlt sich das meist schnell aus. Denn es gibt verschiedene Ansätze, wie Nachhaltigkeitsbemühungen beschleunigt werden können:
1. Schaffung einer ESG-Datengrundlage
Daten sind für die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen wichtig, insbesondere ESG-Daten. Sie geben Auskunft über die Auswirkungen des Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft und werden benötigt, damit Führungskräfte Fortschritte zuverlässig überwachen können. In den meisten Unternehmen liegen bereits viele Umweltdaten vor, die aus Betrieb, Wartung, Energieverbrauch oder IT-Infrastruktur stammen.
Die Herausforderung besteht allerdings darin, diese verstreuten Daten zusammenzuführen, zu nutzen und sie an Stakeholder für Compliance-Anforderungen zu melden. Unternehmen werden in diesem Jahr vermehrt Automatisierungstechnologien einsetzen, um Daten zu sammeln und zusammenzuführen, um transparente, überprüfbare und finanzrelevante Informationen und Fortschrittsberichte zu liefern. KI-Technologie kann helfen, ESG-Daten zu erfassen, zu analysieren und in Erkenntnisse umzuwandeln, die für die Bewertung des Fortschritts bei der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen entscheidend sind.
Ein Beispiel dafür, wie Technologie und Beratung die Nachhaltigkeit eines Unternehmens unterstützen können, ist die Zusammenarbeit von IBM mit dem weltweit tätigen Spezialchemie-Unternehmen Evonik. Innerhalb weniger Monate lieferte IBM ein erstes Modul für eine Sustainability-Data-Management-Plattform, die die manuellen Prozesse bei der zentralen Bearbeitung ausgewählter ESG-Kennzahlen weitgehend automatisiert und so Evonik bei seiner Transformation zu einem nachhaltigen Chemiekonzern unterstützt.
2. Aufbau nachhaltiger Lieferketten
Unternehmen brauchen einen tiefen Einblick in ihre Lieferkette, um ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und neue ESG-bezogene Vorschriften zu erfüllen. Die Europäische Union (EU) arbeitet derzeit mit Hochdruck an einem Gesetzentwurf zu nachhaltigeren Lieferketten. In Deutschland gilt das neue Lieferkettengesetz bereits seit 1. Januar für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten. Es ist wichtig, die Herkunft der Produkte nachverfolgen zu können, um sicherzustellen, dass sie ethisch und nachhaltig hergestellt wurden. Auch die Verbraucher_innen erwarten zunehmend vollständige Transparenz entlang der gesamten Lieferkette. Ein tiefes Verständnis über den CO2-Fußabdruck ist ebenfalls entscheidend, da die Treibhausgasemissionen entlang der Wertschöpfungskette eines Unternehmens, sogenannte “Scope-3-Emissionen”, bis zu 90 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen ausmachen können.
Die Mehrheit der Chief Supply Chain Officers (CSCOs) erwarten daher, dass ein höheres Maß an Transparenz und Sichtbarkeit in den nächsten drei Jahren ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal sein wird. Dies erfordert vertrauenswürdige und sichere Daten.
KI-Technologie und Automatisierung können CSCOs und ihre Teams dabei unterstützen, Daten zu sammeln, Risiken zu erkennen, Dokumentationen zu validieren und Prüfpfade bereitzustellen, während sie gleichzeitig ihren Kohlenstoff-, Abfall-, Energie-, Wasser- und Materialverbrauch verwalten. Das hilft Unternehmen dabei, Anpassungen vorzunehmen, Abfall zu reduzieren und die Zeit, die für die Rückverfolgung der Produktherkunft benötigt wird, von Tagen auf Sekunden zu verkürzen. Viele CSCOs werden KI und einen datengesteuerten Ansatz nutzen, um die Herausforderungen der Lieferkette zu meistern.
Bereits bevor das Lieferkettengesetz in Kraft trat, forderte das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) vermehrt Transparenz in den globalen Lieferketten. Daher unterstützt es das Kooperationsprojekt zwischen KAYA&KATO und IBM zur Entwicklung einer Blockchain-basierten Lösung, die eine transparente Dokumentation der textilen Lieferkette zum Ziel hat. Mit deren Hilfe können Kunden und Partner die Herkunft und Verarbeitung der Stoffe in jedem Produktions- und Vertriebsschritt identifizieren.
3. Bekämpfung der Auswirkungen des Klimawandels
Die CEOs können die wachsenden Risiken des Klimawandels nicht mehr ignorieren. Extreme Wetterbedingungen, das Versagen von Klimaschutzmaßnahmen und vom Menschen verursachte Umweltschäden zählen laut dem globalen Risikobericht des Weltwirtschaftsforums 2021 zu den drei größten Risiken für Unternehmen in den kommenden zehn Jahren.
Im Jahr 2023 werden Unternehmen vermehrt Wetter- und Klimadaten nutzen, um Klimarisiken anzugehen. Künstliche Intelligenz wird dabei der Schlüssel zum Erfolg sein. Schon jetzt gibt es ein umfassendes Angebot dafür, wie wertvolle klimabezogenen Daten mittels fortlaufender Echtzeit-Beobachtungen des Wetters simultan analysiert und Geschäftsabläufe entsprechend angepasst werden können. Doch die meisten Unternehmen nutzen diese Informationen noch nicht in vollem Umfang. Durch die Kombination von KI-Technologie, Wetter-, Klima- und Betriebsdaten wird es immer einfacher, Klimarisiken, die sich auf den Geschäftsbetrieb auswirken, zu kalkulieren und ESG-Ziele zu erreichen. Konsistente Wetter- und Klimadaten erleichtern es Unternehmen, spezifische Probleme frühzeitig zu erkennen, zu melden und um zu ermitteln, welche Regionen, Gebäude oder Anlagen überproportional zu den Kohlenstoffemissionen beitragen. So können Verbesserungsmaßnahmen zuverlässig priorisiert werden.
Zum Beispiel hat Yara gemeinsam mit IBM eine Plattform für die digitale Landwirtschaft entwickelt, die Millionen von Landwirt_innen weltweit sofortige agronomische Beratung durch genaue Wetterdaten und KI-Lösungen bietet. Ziel ist es, Erträge zu verbessern, Düngemittel und Kosten zu reduzieren und die Auswirkungen des Klimawandels zu bekämpfen.
Fazit
Die Auswirkungen und die Dringlichkeit des Klimawandels haben einen immensen Einfluss auf die Geschäftswelt. Unternehmen fokussieren sich verstärkt auf ihre Verantwortlichkeit und zielführende Maßnahmen. Die Priorisierung von Ausgaben für Nachhaltigkeitstechnologien ist für Unternehmen eine kluge Investition. Sie trägt dazu bei, Betriebsabläufe zu optimieren und somit langfristig verantwortungsvoller und profitabler zu werden. KI kann eine entscheidende Triebkraft sein, um einige der dringendsten Probleme anzugehen und eine nachhaltigere Zukunft für uns alle zu gestalten.
Über Hiawatha Wolf, Director Sustainability Software bei IBM
Nach ihrem Studium der Betriebswirtschaft arbeitete Hiawatha Wolf bei kleineren Software- und M&A Unternehmen bevor sie in die IBM als Acquisition Integration Leader eintrat. In den folgenden Jahren folgten Partner und Direktkunden Vertrieb in Data/AI sowie Automation Software. Seit Anfang 2022 verantwortet Hiawatha Wolf den Bereich Sustainability Software.