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Interview: So helfen Digitale Zwillinge bei der Klimaanpassung von Städten

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Digitale Zwillinge als Helfer für lebenswerte Städte

Digitale Technologien, wie Künstliche Intelligenz (KI) oder das Internet der Dinge (IoT) helfen Kommunen bei der Anpassung an den Klimawandel. So können mit Hilfe von Digitalen Zwillingen identische Abbilder erzeugt werden. Das erleichtert Planungsprozesse und die bedarfsgerechte Durchführung von Maßnahmen. 

Darüber hinaus lassen sich Veränderungen und Auswirkungen durch Prognosen vorab simulieren. Verantwortliche in Stadtverwaltungen können auf diese Weise die Lebensqualität in Städten sicherstellen. Wie das gelingt, erläutert Dr. Joachim Weber vom Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE in Kaiserslautern praxisnah am Beispiel der Stadt Braunschweig und zeigt, wie andere Städte diese Erfahrungen nutzen können. 

Was können Digitale Zwillinge für die Anpassung von Städten an klimatische Veränderungen und Extremwetter wie Hitze leisten?

Joachim Weber: Digitale Zwillinge ermöglichen Verantwortlichen einen Überblick über den Ist-Zustand der Klimaverhältnisse einer Stadt. Stadtplaner und Klimabeauftragte können sich anschauen, wo heute bereits in der Stadt im wahrsten Sinne des Wortes „Hotspots“ existieren. Darüber hinaus kann der Klimazwilling aber auch „Was-wäre-wenn“-Fragen beantworten, indem er Veränderungen in der Zukunft simuliert. Die Verantwortlichen können so prüfen, wie neue Bauvorhaben auf das Stadtklima wirken werden.

Stellt man beispielsweise fest, dass ein geplanter Gebäuderiegel die Kaltluftflüsse in der Stadt behindern wird, so macht der Klimazwilling das nicht nur im Voraus sichtbar, sondern er erlaubt auch die vorausschauende Wirkungskontrolle von Gegenmaßnahmen. Dazu gehören zum Beispiel die Begrünung versiegelter Flächen oder die Optimierung des neuen Planvorhabens in Bezug auf Schattenwurf, Reflexion oder Öffnung für Luftströme. Die Verantwortlichen in der Stadtverwaltung können so ganz gezielt die Lebensqualität der Menschen in der Stadt sicherstellen oder sogar verbessern und ihre Stadt gegen den Klimawandel wappnen.

Wie kann man sich so einen Digitalen Klimazwilling vorstellen? Wie funktioniert ein Digitaler Klimazwilling?

Joachim Weber: Ein Klimazwilling ist ein Zusammenspiel ganz verschiedener digitaler Technologien. Zunächst einmal benötigt man unterschiedliche Daten über Terrain, Gebäude und Grünflächen einer Stadt, die alle in einer sogenannten Geodateninfrastruktur – kurz GDI – zusammengeführt werden. Dort können diese Informationen dann mit den Konstruktionsdaten eines neuen Planvorhabens kombiniert werden. Große Städte verfügen in der Regel heute aus anderen Gründen bereits über eine solche, leistungsfähige GDI.

Koppelt man die GDI mit einem System zur Klimasimulation, so kann man für dieses rein virtuelle Abbild der veränderten Stadt die Luftflüsse und den sogenannten thermischen Komfort zu unterschiedlichen Wetterlagen berechnen und wieder in der GDI speichern. Schließlich braucht man noch ein komfortables Visualisierungswerkzeug – den sogenannten Geo-Basiszwilling –, in dem man diese Ergebnisse der Klimasimulationen in 2D und 3D für die Stadt inspizieren kann, um daraus Rückschlüsse auf mögliche Verbesserungen zu ziehen.

In Braunschweig wurde kürzlich solch ein Digitaler Klimazwilling umgesetzt. Welche Erfahrungen wurden in dem Projekt gesammelt? Was sind die Learnings aus dem Projekt?

Joachim Weber: Zunächst einmal haben wir gelernt, dass in unseren kommunalen Verwaltungen, entgegen dem klischeehaften angestaubten Image, ganz viele Mitarbeiter hochmotiviert daran arbeiten, neue Technologien für ihre Kommunen nutzbar zu machen. Ein zentrales Learning aus dem Projekt war, dass der Einsatz solcher Technologien auch ganz neue, abteilungsübergreifende Abläufe in der Verwaltung notwendig macht. Der Klimazwilling ermöglicht erstmals mehrere Planungsschleifen einer vielleicht ursprünglich für das Klima ungünstigen Planung. Mittels der Simulation kann jeweils die klimatische Auswirkung der Gegenmaßnahmen und Optimierungen überprüft werden. Dazu müssen aber verschiedene Abteilungen wie Stadtplanung, Geoinformation, Klima- und Umweltamt, Grünflächenamt und andere enger zusammenarbeiten als zuvor. Dafür existieren einerseits gar keine Verwaltungsprozesse und andererseits auch keine geeigneten digitalen Infrastrukturen und Werkzeuge.

Unser Institut, das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE, hat deswegen eine digitale Prozessunterstützung als Software entwickelt, die ebenfalls an den neuen Klimazwilling in Braunschweig koppelt, und den verschiedenen Abteilungen ermöglicht, an der Klimafolgenoptimierung neuer Bauvorhaben zusammenzuarbeiten.

Lässt sich das Projekt auch auf andere Städte und Kommunen übertragen?

Joachim Weber: Absolut. Wir müssen insgesamt in diesem Feld noch an der sogenannten Interoperabilität der verschiedenen Systeme arbeiten, damit das Zusammenspiel verbessert wird. Aber jede größere Stadt in Deutschland hat heutzutage grundsätzlich die Möglichkeit, eine solche Technik einzuführen.

In welchem Stadium befindet sich die Technik? Gibt es bereits Service-Anbieter auf dem Markt?

Joachim Weber: Das muss man differenziert betrachten: Nach aktuellem Stand ist die GDI einer Stadt typischerweise Teil der städtischen IT, genauso wie der Geo-Basiszwilling. Die Klimasimulation benötigt jedoch Hochleistungskapazitäten, die eher in der Cloud zu finden sind. Hier gibt es erste vorsichtige Schritte zum Aufbau von spezialisierten Anbietern zum Betrieb von Klimasimulationen.

Diese Fragmentierung des Klimazwillings in Komponenten der städtischen IT und eines Cloud-Angebots ist auch Teil der zuvor angesprochenen Problematik der Interoperabilität. Es bildet eine technische Hürde, die mittels standardisierter Kommunikationsprotokolle erst noch überwunden werden muss, um die heute noch notwendige „Handarbeit“ zu vermeiden. Perspektivisch lässt sich dieses Gesamtsystem jedoch als kombiniertes Angebot in der Cloud vorstellen, das dann auch kleineren Städten und Kommunen Zugang zu dieser Technologie ermöglicht. Da sind wir heute aber noch nicht.

Welche Ressourcen und Kompetenzen braucht es, damit digitale Klimazwillinge bei Kommunen eingesetzt werden?

Joachim Weber: Wie gesagt: Größere Städte besitzen heute bereits in der Regel eine leistungsfähige GDI. Für den Betrieb der vom Fraunhofer IESE entwickelten Prozessunterstützung empfiehlt sich als Infrastruktur eine sogenannte Urbane Datenplattform – kurz UDP. Viele Kommunen befassen sich heute schon mit dem Aufbau solcher Plattformen. Die Software kann jedoch auch komplett separat betrieben werden. Die Geoinformations- und IT-Abteilungen größerer Städte verfügen im Allgemeinen über die erforderlichen Kompetenzen, um diesen Teil des Klimazwillings zu etablieren.

Die Klimasimulation hingegen erfordert das Vorhalten von Hardware in einer Größenordnung, die für kommunale Verwaltungen ansonsten selten Sinn macht. Auch der Betrieb der Klimasimulationssoftware erfordert solch spezialisiertes Know-how, sodass Kommunen diesbezüglich lieber ein Cloud-Angebot wählen sollten.

Ansonsten braucht die Kommune aber natürlich Mitarbeiter, die über das Klima-Fachwissen verfügen. Diese benötigen in der Regel auch eine Schulung zur Bedienung und Konfiguration der Klimasimulation. Auf diese Weise werden die Mitarbeiter schon nach wenigen Stunden in die Lage versetzt, Berechnungsläufe selbstständig auszuführen.

Zur Person:
Dr. Joachim Weber ist Experte für „Internet of Things and AI at Smart City” in der Abteilung Smart City Engineering am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE in Kaiserslautern.

Dr. Katja Reisswig

Freie Redakteurin und Gründerin des Online-Magazins Technewable.com - spezialisiert auf digitale Kommunikation und Themen rund um die grüne Wirtschaft mit Fokus auf grüne Technologien, Innovationen, Lösungen und Anwendungen. Ihr Themenportfolio umfasst: Energie, Mobilität, Nachhaltigkeit, Digitalisierung & Transformation

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